Im ersten Quartal 2025 entstand ein Trend, der in den 90iger Jahren des letzten Jahrhunderts merkwürdige erschienen wäre. In Kanada und Europa wird versucht, möglichst viele US-amerikanischen Produkte und Dienstleistungen zu meiden. In Europa versammelt sich diese Konsumentenbewegung hinter dem Hashtag #buyfromEU. Dieser Beitrag möchte wertfrei die Hintergründe beleuchten und diesen Trend als Beispiel für die Vorteile einer sozioökonomischen Sichtweise – im Vergleich zu einer neoklassischen Wirtschaftsperspektive – heranziehen. Abschließend sollen noch Schwierigkeiten bei solch einer Entflechtung unseres globalen Wirtschaftssystems aufgezeigt und ein Ausblick gegeben werden.

Die Entstehung von #buyfromEU

Am 25. März 2025 zählte das Subreddit #BuyfromEU mehr als 190.000 Mitglieder. Diese Zahl zeugt von einem rasanten Wachstum seit der Forumsgründung am 16. Februar 2025.
Die Androhung von Zöllen durch die neue Trump-Regierung führte zur Formierung dieser Boykott-Bewegung. Zahlreiche Europäer vermissen den Konsens mit den USA. Das gemeinschaftliche Verständnis einer freiheitlich-liberalen Grundordnung ist in ihren Augen nicht mehr gegeben. Diese EU-Bürger suchten nach einer Möglichkeit ihrem Prostest über ihre Rolle als Konsumenten Ausdruck zu verleihen.

Das entscheidende Vorbild bei dieser Suche lieferte Kanada mit buy Canadian. Beim nördlichen Nachbarn werden im Zuge dieser Bewegung sogar amerikanische Konsumprodukte, wie Bourbon, komplett aus den Regalen entfernt. Der Protest wird demnach nicht nur von Konsumenten, sondern ebenfalls von manchen Unternehmern getragen.

Die #buyfromEU sieht sich als solidarisch mit Kanada. Darüber hinaus möchte die Boykott-Bewegung aber auch einen ganz eigenständigen Protest gegen einen empfundenen Wertewandel in den USA ausdrücken.
Darüber hinaus werden die Boykotte in Europa und Kanada von einer langen Erfolgsgeschichte dieser Form des zivilen Widerstands vorangetrieben. Zahlreiche Fälle zeigten allein in den letzten 25 Jahren große Wirkung und wurden deshalb akademisch untersucht.

Geschäft bietet nur mehr Produkte aus Kanada und Europa an
Bildquelle: https://www.reddit.com/r/BuyFromEU/

Boycotts und Buycotts

Ein boycott beschreibt die gezielte Vermeidung von bestimmten Produkten als politische Aussage. Ein buycott beschreibt den bewussten Kauf von Produkten – sogenannten Substituten – um andere Produkte zu vermeiden und damit ein politisches Statement zu setzen. (Yates 2011)

Früher protestierten derartige Konsumbewegungen gegen Produkte, die mit Kinderarbeit oder ähnlichen unethischen Geschäftspraktiken hergestellt wurden. Unzählige dieser Aktionen konnten große Erfolge verbuchen. Hier nur ein kleiner Auszug:

  • Nestlé beendete die Bewerbung für Säuglingsmilk im Jahr 2014
  • Babybel zog 2015 eine Reihe von Produkten aus dem Sortiment nach Protesten in Frankreich
  • Im März 2016 beendete SeaWorld alle Orka-Zuchtprogramme
  • 2017 verkündete The Body Shop eine Agenda gegen tierversuchsbelastete Kosmetik

Hinweis: Hier finden sich weitere erfolgreiche Beispiele zu Boykotten.

Diese Beispiele zeigen, dass sich über Boykotte die Konsumenten ihrer Macht gegenüber großen Konzernen bewusstwerden und diese Bewusstwerdung zu Erfolgen führen kann. Als Widerstand gegen ganze Staaten ist diese Protestform zwar noch weniger erprobt, aber birgt ebenfalls Potenziale, da sie von vielen klassischen Wirtschaftsberatern nicht einkalkuliert wird?

Boykotte zeigen die Grenzen der neoklassischen Wirtschaftstheorie

Die ökonomischen Mainstream-Ansichten gehen von zwei Größen aus, die ein Gleichgewicht finden. Es geht um den Preis und um den Nutzen. Wenn ein Produkt von der EU mit Zöllen belegt wird, dann wird es natürlich teurer und die Nachfrage geht in der Regel zurück. Doch die #buyfromEU Bewegung verweigert sich auch Produkten, deren Preise noch identisch zum Jahr 2024 sind – abgesehen von ein wenig Inflation. Trotzdem geht während eines Boykotts bei gleichem Preis die Nachfrage extrem zurück. Es muss sich demnach der Nutzen verändert haben, obwohl Coca-Cola wegen Trump nicht anders schmeckt.

Manche Ökonomen dürften jetzt entgegnen, dass der soziale Zusammenhalt eines Boykotts den Nutzen für diese Käufergruppe verändert hat. Es wird im Nutzen also eine ganze Reihe von Faktoren vereint bzw. impliziert: Prestige, sozialer Status, Zugehörigkeitsgefühl, politische Einstellungen u.v.m.

Diese vermehrten Implikationen verursachen ein großes Problem. Wenn derart viele Facetten im Nutzen vereint werden, dann lassen sich die Auswirkungen von einzelnen Faktoren zunehmend schwer identifizieren. Die Einflussstärke einzelner Faktoren verschwimmt. Ein weiteres Problem der neoklassischen Sichtweise ist der fehlenden Zeitfaktor bei der Betrachtung von Preis und Nutzen. Die Neoklassik sieht nur ahistorisch.

Die sozioökonomische Sichtweise bezieht Entscheidungsprozesse nicht nur auf Preis und Nutzen. Der Sozioökonomie geht es viel mehr darum alle politischen, sozialen und kulturellen Einflüsse historisch zu bewerten, um die Handlung von Individuen zu verstehen. So drückt sich in der #buyfromEu Bewegung nicht nur eine Ablehnung gegen die aktuelle Politik oder die jüngsten Aussagen von Donald Trump aus. Es schwingt ebenso der Eindruck eines Verrats mit. Das Vertrauen in die USA wurde enttäuscht. Wenn eine historisch gewachsene Vertrauensbasis enttäuscht wird, dann fällt die Gegenreaktion besonders energisch aus.

Ein Sozioökonom hätte diese Boykott-Bewegung vielleicht klarer Voraussagen können. Doch wie viel hätte diese Einsicht gebracht?

Wie stark können wir die USA boykottieren?

Das Subreddit #buyfromEU zeigt tausende von Alternativen zu US-amerikanischen Produkten auf. Bei einfachen Konsumprodukten fällt es leicht, seine Gewohnheiten zu ändern. fritz-kola unterscheidet sich im Geschmack kaum von Coca-Cola und McDonalds wird von fast jedem Burgerladen an der Ecke übertrumpft. Zumindest klingen viele Meinungen so.

Eine große Anschaffung, wie einen Tesla zu ersetzen, fällt hingegen schwerer. Hierzu muss schon ein gewisses Mindestmaß an Vermögen oder Haushaltseinkommen gegeben sein.
Es zeigt sich übrigens auch in der Boykott-Forschung, dass Personen mit höherem sozioökonomischen Status solchen Kaufverboten bzw. -geboten leichter folgen können (Yates 2011).

Wirklich schwer wird es bei digitalen Boykotten. Diese Webseite aus Wien möchte zwar eine ganze Reihe von alternativen Digitalprodukten aufzeigen, aber bis der ganze Freundeskreis von WhatsApp zu ginlo gewechselt ist, kann es dauern. Dem Google oder Bing Index zu entkommen, selbst wenn die Suchmaschine dann Ecosia heißt, scheint Anfang 2025 noch fast gänzlich unmöglich.

Im Bereich von Hardware-Komponenten scheint eine Entflechtung von globalen Lieferketten ebenfalls sehr schwer. Die Grafikkarten  von Nvidia können zwar mit einer Reihe von Marken aus Taiwan ersetzt werden, aber wir als Europäer scheinen derzeit nicht in der Lage zu sein, diesen Handelsweg oder Taiwan vor China zu schützen.
Diese Beispiel zeigt ebenfalls wie stark die Welt in manchen Bereichen oligopolisiert ist – sprich es existieren nur sehr wenige, bedeutende Anbieter.

Hinweis: Auf die dichte Verwobenheit vieler industrieller Lieferketten in der Produktion wollen wir hier nicht näher eingehen. Die Konzentration auf das Verhältnis der Konsumenten mit amerikanischen Produkten soll an dieser Stelle reichen.

So zeigt sich klar, dass die Entwöhnung von den US-amerikanischen Dealern ein langer und teils unbequemer Prozess werden wird. Trotzdem bergen gerade solche Umstellungen, wie immer in der Geschichte, zahlreiche Chancen.

Welche Potentiale besitzt #buyfromEU?

Das erste große Potenzial der #buyfromEU Bewegung liegt auf der Hand: Die europäische Wirtschaft wird durch den Kauf von Produkten aus der Europäischen Union gestärkt. Der Binnenkonsum steigt.

Darüber hinaus sehen viele in der Boykott-Bewegung die Chance auf eine Verkürzung von Lieferketten. Vielleicht legen bald einige Konsumprodukte, deren Produktionsmöglichkeiten in Europa ähnlich gut sind, bald weniger Kilometer zurück. Dies würde CO2-Fußabdrücke verringern und einen positiven Beitrag zum Kampf gegen den Klimawandel schaffen.

Das letzte Potential klingt sehr stark nach Science-Fiction, aber darf gerade deshalb angedacht werden. Vielleicht entwickelt sich durch Boykott-Bewegungen, wie #buyfromEU, eine zunehmende Spezialisierung auf allen Kontinenten. Für Europa könnte diesbezüglich die Betonung des menschlichen Wertes an erster Stelle stehen. Daraus könnten sich Vorsprünge in der Medizintechnik oder in der Prothetik ergeben. Diese Wettbewerbsvorteile lassen sich dann wiederum mit anderen Wirtschaftszonen handeln, damit komparative Kostenvorteile (Bofinger 2008) erhalten bleiben. Aber statt einer derart tiefen Vernetzung könnten Wirtschaftszonen treten, die nach ihren ethischen Prämissen handeln.

Quellen

Bofinger, Peter. 2008. Grundzüge der Volkswirtschaftslehre: eine Einführung in die Wissenschaft von Märkten. 2., Aktualisierte Aufl., [Nachdr.]. Wi – Wirtschaft. München: Pearson Studium.

Yates, Luke S. 2011. „CRITICAL CONSUMPTION“. European Societies 13 (2): 191–217. https://doi.org/10.1080/14616696.2010.514352.

Autor: Patrick Berger BSc.

Nach einem sehr neoklassisch ausgelegten Studium der Wirtschaftswissenschaften in Innsbruck und einigen Jahren im Digitalmarketing hat Patrick Berger den relativ neuen Zweig der Sozioökonomie an der Wirtschaftsuniversität Wien für sich und für potenzielle Lösungsansätze in unserer Gegenwart entdeckt. LinkedIn.

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